Wenn der Darm rebelliert, und niemand weiß warum
Wer über Monate hinweg unter Blähungen, Bauchschmerzen, Durchfall oder Verstopfung leidet, bekommt häufig die Diagnose Reizdarm, oft begleitet von dem vagen Rat, Stress zu reduzieren oder bestimmte Nahrungsmittel zu meiden. Doch zunehmend zeigt sich: Hinter dem sogenannten Reizdarmsyndrom (RDS) kann sich in vielen Fällen eine konkrete und behandelbare Ursache verbergen. Nämlich eine Fehlbesiedelung des Dünndarms mit Bakterien, die sogenannte SIBO (Small Intestinal Bacterial Overgrowth).
SIBO: Wenn Bakterien am falschen Ort landen
Das Reizdarmsyndrom gehört zu den häufigsten funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen weltweit. Etwa jeder zehnte Mensch ist betroffen. „Funktionell“ bedeutet: Die Beschwerden lassen sich mit klassischen diagnostischen Mitteln nicht auf eine klare organische Ursache zurückführen. Typisch sind diffuse Symptome wie Bauchkrämpfe, Blähbauch, ein Wechsel zwischen Durchfall und Verstopfung sowie ein Gefühl unvollständiger Entleerung. Die Symptome halten meist länger als drei Monate an und verschlimmern sich häufig unter Stress oder nach bestimmten Mahlzeiten. Für viele Betroffene ist der Alltag dadurch erheblich eingeschränkt. Und dies sowohl körperlich wie auch psychisch.
Im Gegensatz dazu bezeichnet der Begriff SIBO eine konkrete mikrobielle Störung im Dünndarm. Normalerweise ist dieser Bereich im Vergleich zum Dickdarm eher spärlich mit Bakterien besiedelt. Bei einer SIBO jedoch vermehren sich dort Keime, und zwar jene, die eigentlich in den Dickdarm gehören, und stören die normale Verdauung. Die Folge sind Gärprozesse, Blähungen, Schmerzen und Stuhlunregelmäßigkeiten, die auf den ersten Blick stark an einen Reizdarm erinnern. Anders als beim klassischen RDS gibt es hier jedoch eine fassbare Ursache, die mit speziellen Atemtests nachgewiesen und gezielt behandelt werden kann.
SIBO oder Reizdarm: Verwechslung mit Folgen
Die Überschneidung beider Krankheitsbilder ist so groß, dass inzwischen häufig davon ausgegangen wird, dass ein erheblicher Teil der Reizdarmpatient*innen in Wahrheit unter einer SIBO leidet. Oder dass die SIBO das Reizdarmsyndrom zumindest wesentlich mitprägt. Eine umfassende Meta-Analyse, die im Fachjournal Frontiers in Medicine veröffentlicht wurde (2024), hat diesen Zusammenhang wissenschaftlich untersucht. In der Auswertung von über einem Dutzend Studien zeigte sich, dass rund 31 % der Patient*innen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa sowie Reizdarm auch eine SIBO aufwiesen, im Vergleich zu nur 6 % in gesunden Kontrollgruppen. Ein zusätzliches Ergebnis war: Die mikrobielle Diversität im Darm war bei Betroffenen mit SIBO deutlich reduziert – ein Hinweis darauf, dass das Gleichgewicht im Darmmikrobiom bei chronischen Erkrankungen fragiler ist als bislang angenommen.
Studien zeigen: SIBO bei CED viel häufiger als gedacht
Das Reizdarmsyndrom, die SIBO und auch chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie CED (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn) haben damit eine wichtige Gemeinsamkeit: die gestörte Darmflora. Ob durch Antibiotika, Stress, falsche Ernährung oder chronische Entzündung – gerät das mikrobielle Gleichgewicht aus der Balance, kann dies die Schleimhaut schädigen, die Darmbarriere durchlässiger machen („Leaky Gut“) und Fehlbesiedelungen begünstigen. Damit wächst nicht nur die Gefahr einer SIBO, sondern auch die Entstehung und Aufrechterhaltung funktioneller Beschwerden wie beim Reizdarmsyndrom. Besonders tückisch ist dabei: Viele klassische Reizdarm-Therapien wie etwa ballaststoffreiche Kost oder bestimmte Probiotika können bei einer bestehenden SIBO sogar zu einer Verschlechterung der Symptome führen.
Antibiotika oder Pflanzenkraft – was hilft wirklich?
Die Therapie der SIBO zielt darauf ab, die übermäßigen Keime im Dünndarm zu reduzieren und das bakterielle Gleichgewicht wiederherzustellen. Als Standard gilt derzeit die antibiotische Behandlung mit Rifaximin oder Rifamycin SV MMX. Beide Antibiotika wirken lokal im Darm, ohne systemisch aufgenommen zu werden. Studien zeigen, dass sie bei etwa 40–70 % der Patient*innen eine Besserung der Symptome und eine Normalisierung des Atemtests bewirken. Doch wird hier ein hoher Preis gezahlt, denn Antibiotika machen allen Keimen im Darm den Garaus, auch den Nützlingen im Dickdarm. Zudem bleibt die Rückfallquote hoch: Fast die Hälfte der Betroffenen entwickelt innerhalb von Monaten erneut eine Fehlbesiedelung.
SIBO natürlich behandeln – geht das?
Es gibt pflanzliche Alternativen. Phytotherapeutische Antimikrobiotika, gezielt zusammengestellte Kräutermischungen. Eine US-amerikanische Vergleichsstudie aus dem Jahr 2014 zeigte, dass bestimmte Kräuterkombinationen, etwa mit Oregano-Öl, Berberin, Knoblauch-Extrakt und Grapefruitkernextrakt, in ihrer Wirkung dem Antibiotikum Rifaximin ebenbürtig sein können. 46 % der Patient*innen waren nach einer sechswöchigen Pflanzenbehandlung symptomfrei und atemtest-negativ – ganz ohne Antibiotika. Auch eine aktuelle Open-Label-Studie aus dem Jahr 2024 (MDPI) konnte bei einem rein pflanzlichen Regime signifikante Verbesserungen dokumentieren, vor allem bei Methan-bildender SIBO.
Der Vorteil pflanzlicher Präparate liegt nicht nur in der breiteren antimikrobiellen Wirkung, sondern auch in der besseren Verträglichkeit und der Möglichkeit, sie längerfristig einzusetzen. Allerdings sind Dosierung, Präparatequalität und Therapiedauer entscheidend, und nicht jedes Mittel ist für jede SIBO-Form geeignet. Eine gezielte Diagnostik bleibt daher wichtig, ebenso wie für eine Weile eine begleitende Ernährungstherapie (z. B. FODMAP-arm). Nach Besserung der Symptome kommen dann gezielte Probiotika als Aufbaumaßnahme für den Darm hinzu.
Zielgerichtet statt hilflos: Wege aus dem Reizdarm-Dilemma
Ob eine SIBO rein pflanzlich behandelbar ist, hängt also vom individuellen Fall ab. In leichten bis mittelschweren Fällen zeigen Studien gute Erfolge. Bei ausgeprägten Symptomen oder wiederholten Rückfällen kann eine Kombination mit konventionellen Methoden sinnvoll sein. Wichtig ist in jedem Fall: Der Weg aus dem Reizdarm muss nicht im Ungefähren bleiben. Wer eine SIBO als mögliche Ursache mit in Betracht zieht, hat eine greifbare Option zur gezielten und nachhaltigen Therapie.
Das ist eines meiner Fachgebiete.
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https://www.frontiersin.org/journals/medicine/articles/10.3389/fmed.2024.1490506/full?utm

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