Erdmnnchen…wir dürfen es dem Leben ablauschen

Wenn ein Mensch in meine Praxis kommt, hat er in der Regel mehr oder weniger starke Beschwerden oder auch eine mehr oder weniger schwerwiegende Erkrankung. Manchmal ist die Diagnose schon klar, denn Leute kommen dann, wenn sie woanders keinen weiterführenden Rat gefunden haben.

Was ich beim ersten Gespräch (und in allen folgenden ebenso) tue?

Ich höre hin. Ich höre zu. Ich nehme diesen Menschen wahr, der jetzt hier vor mir sitzt. Mit seinen Beschwerden, mit seinen Sorgen und Hoffnungen. Mit seinen ganz eigenen Gedanken, warum er jetzt gerade diese Krankheit hat oder auch: mit seinen Fragen.

Ich gehe in Resonanz. Denn nur so kann eine Partnerschaft entstehen, in der wir beide gemeinsam einen Fokus haben: Linderung, Genesung, Besserung der Gesundheit. Es geht eben nicht nur um: Diagnose – einzweidrei. Therapie – vierfünfsechs. Wie unterstütze ich die Heilkraft eines Menschen, der zu mir kommt? Kann sein, dass beim Einen eine bestimmte Therapie greift die bei einer anderen Person mit gleicher Erkrankung überhaupt nicht funktioniert. Kann sein, dass einer Person ein Probiotikum schon komplett hilft und eine andere dazu eine umfassende Lebensumstellung braucht. Der Weg sollte trotzdem nachvollziehbar sein und er sollte auch gut zu gehen sein.

Es gibt ja auch Gründe – und zwar vielfältige – warum ein Mensch die Chemo mit links packt und der nächste schier daran zugrunde geht. Dabei spielt die Konstitution, das „Nebenwirkungsmanagement“, die Vorgeschichte, das Lebensthema, die Einstellung und auch das Vertrauen eine Rolle. Alle Ebenen des Menschseins werden dabei berührt. Meine Aufgabe sehe ich darin, so genau zuzuhören und mich einzufühlen, bis ich eine schlüssige Idee davon erhalte, wie diesem Menschen geholfen werden kann.

Anders herum.

Kürzlich war ich in der umgekehrten Situation. Ich begleitete jemanden, der eine Herzinsuffizienz mit sogenannter „unklarer Genese“ hatte, zum Arzt. Nicht nur zu einem Arzt, sondern zu mehreren. Und jedes Mal, wenn wir einen bestimmten Aspekt erwähnten, von dem wir dachten, dass er möglicherweise zur Erkrankung beigetragen haben könnte, wurde einfach nicht hingehört. Oder mit einer Handbewegung verworfen. „Nein, nein, – hier greift die Standardtherapie XY, das müssen Sie machen und da wird Ihnen auch sonst niemand etwas Anderes sagen.“ Tja. Zehn Minuten, und wir standen wieder vor der Tür. Einer der Herren hörte sich selbst gerne reden und daher konnten wir dort die Sprechstunde etwas länger beanspruchen. Standen aber danach genauso belämmert vor dessen Tür. Sprachlos.

Wir gingen wirklich von Pontius zu Pilatus bis wir schliesslich, vierhundert Kilometer weiter weg und reichlich angeknackst bei unserer „letzten Option“ landeten. Das war wie ein Wunder: wir trafen auf jemanden, der sich eineinhalb Stunden Zeit nahm, mitsamt seiner Oberärztin und des Stationsarztes. Wir sprachen alles Mögliche an, alle Wahrnehmungen, alles, was uns einfiel. Das war ein richtiger „Think-tank“ in Sachen Ursachenforschung. Und ja: es gab ein Ergebnis. Es gab neue und andere Möglichkeiten der Behandlung und einen Weg der uns zum ersten Mal sinnvoll erschien.

Wissen Sie was? Wir haben beide aus Erleichterung geheult. Endlich gab es ein Ankommen, ein Vetrauen. Das Wissen: gesehen zu werden und ernstgenommen zu sein. So kann dann ein Heilungsweg beginnen.

Das wirkliche Hinhören ist eine Rarität geworden. Wie oft haben wir schon Rezepte, gute Ratschläge oder Belehrungen an der Hand, ohne wirklich verstanden, gesehen, wahrgenommen zu haben wie es unserem Gegenüber wirklich geht. Dabei sind wir zuweilen alle darauf angewiesen dass da jemand anders ist.

Für mich als Therapeutin ist das eine Kraftquelle. Das Hinhören gewährt mir viele Chancen:

  • Ich nehme Anteil ohne mich zu verausgaben.
  • Die Arbeit bleibt spannend.
  • Die Patientin, der Patient sind immer involviert und somit motivierter.
  • Ich spare letztlich Zeit obwohl ich zunächst mal viel Zeit investiere.
  • Meine Ergebnisse sind individuell auf meine Patienten angelegt (und von daher effizienter).

Das ist – zugegeben: eine etwas andere Sicht- und Herangehensweise. Aber durchaus empfehlenswert. Und eigentlich: total normal.