Die erste Therapiephase ist erfolgreich durchgestanden? Chemotherapie und/oder Bestrahlung einigermaßen glimpflich gelaufen? Was für eine Erleichterung nimmt jetzt Raum! Oft schon habe ich erlebt, wie Menschen vor mir saßen und sagten: „Frau Wiesmann, jetzt will ich erstmal meine Ruhe haben und endlich wieder normal mein Leben genießen!“
Das kann ich nur zu gut verstehen.
Natürlich befördert diese Erleichterung nach langer Tapferkeit und Anspannung auch heilsame Prozesse. Das Bedürfnis, dass sich nun nicht mehr alles immer um die Erkrankung dreht, nach einem „Alltagsleben“ ohne Bangen ist groß, berechtigt und braucht Raum.
Und doch: In mir als Therapeutin gibt es jedes Mal zwei Stimmen:
Die eine freut sich mit der oder dem Patienten. Auch für mich ist es eine Erleichterung, wenn ein Punkt der Besserung erreicht ist. Sehr gerne teile ich diese emotional positiv aufgeladene Situation mit meinem Gegenüber.
Die zweite Stimme sagt: Obacht! Jetzt kommt die wirklich heiße Phase. Jetzt gilt es dranzubleiben und nicht einfach vergessen zu wollen, so sehr menschlich verstehbar dieser Impuls ist. Aber meine Aufgabe ist es, immer den (hoffnungsvollen) Blick über den Tellerrand hinaus zu haben. Und der sagt auch: Es gibt kaum eine hinterhältigere Krankheit als Krebs. Es braucht Jahre um wieder in sicherere Gewässer zu segeln. In dieser Phase nach abgeschlossener Ersttherapie sind 4 Wochen Aussetzen der ergänzenden Therapien eine lange Zeit. Gerade jetzt braucht der Körper die Unterstützung in der Entgiftung und in der Immunstimulierung. Gerade jetzt sollen die ergänzenden Maßnahmen konzentriert weiterverfolgt werden.
Es ist eine Gratwanderung: man soll sich entspannen dürfen und dennoch focussiert bleiben. Das ist nicht leicht.
Mein Rat an dieser Stelle: Ja! Genießen Sie den Erfolg in vollen Zügen. Gönnen Sie sich vielleicht eine Urlaubsphase, Ruhe und Entspannung und widmen Sie sich schönen Dingen. Und nutzen Sie diese Phase um den Umgang mit einer chronischen Erkrankung zu erlernen. Vielleicht machen Sie es einmal anders und buchen statt einer Kreuzfahrt eine Malwoche in der Toscana oder ein meditatives Seminar auf Lanzarote. Ihr Leben wird sehr lange mit dem Thema Krebs verbunden sein. Zu tief war der Einschnitt mit der Diagnose. Jetzt aber ist der Zeitpunkt gekommen, wo Sie die Notfall-Ebene verlassen können und sich auf anderen (auch genußvolleren) Ebenen damit beschäftigen dürfen. Oftmals ist das Bedürfnis „zurück“ auch die Zurückwendung an das, was die Krankheit befördert hat.
Schön, wenn es kein Zurück mehr gibt, sondern einen gelassenen, hoffnungsfrohen Blick nach vorne. Denn das Leben hat einfach mehr zu bieten als die Vergangenheit.